Lange galt sie, nun ist sie Geschichte. In einem unlängst veröffentlichten Urteil (5A_384/2018) hat das Bundesgericht der sogenannten „10/16 Regel“ ein Ende gesetzt. Überraschend kam dies nicht, war sie doch schon seit einiger Zeit als „unzeitgemäss“ kritisiert worden. In der jüngeren Rechtsprechung hatten sich die Anzeichen für die Abschaffung gehäuft. Selbst der Bundesrat forderte in seiner Botschaft zum neuen Kindesunterhaltsrecht dazu auf, die Regel zu „überdenken“.
Die „10/16 Regel“ war unter dem alten Scheidungsrecht entwickelt worden (vgl. z.B. BGE 115 II 6 ff.) und später ins neue Scheidungsrecht, das am 1. Januar 2000 in Kraft trat, übernommen worden. Sie war für die Berechnung des Unterhalts bei getrennten oder geschiedenen Ehegatten von Bedeutung. Sie besagte, dass bei Ehepaaren mit einer traditionellen Rollenverteilung nach der Trennung dem (während des Zusammenlebens) nicht erwerbstätigen und die Kinder hauptsächlich betreuenden Ehegatten ab dem vollendeten 10. Altersjahr des jüngsten Kindes ein 50%iges und ab dessen vollendeten 16. Altersjahr ein 100%iges Arbeitspensum zugemutet werden konnte. Bei der Unterhaltsberechnung wurde diesem Elternteil ein entsprechendes Einkommen angerechnet, mit der Konsequenz, dass sich die Unterhaltszahlungen des anderen Ehegatten mit Eintritt der erwähnten Altersstufen reduzierten und schliesslich zumeist ganz entfielen.
Statt der „10/16 Regel“ gilt neu das so genannte „Schulstufenmodell“. Ein betreuender Elternteil hat nun bereits ab dem Eintritt des jüngsten Kindes in den obligatorischen Schulunterricht (je nach Kanton Kindergarten oder Primarschule) ein 50%iges, mit dessen Übertritt in die Oberstufe ein 80%iges und ab dem vollendeten 16. Altersjahr dieses Kindes ein 100%iges Arbeitspensum aufzunehmen. Tut er es nicht, kann er jedenfalls nicht damit rechnen, dass der andere, von ihm getrenntlebende oder geschiedene Elternteil ihm stattdessen Unterhalt bezahlen muss.
Gemäss Bundesgericht hat die Ehe in den letzten Jahrzehnten ihren Charakter als „Versorgungsinstitut“ eingebüsst. Haben die Ehegatten während des Zusammenlebens eine bestimmte Aufgabenteilung praktiziert, so kann diese laut Bundesgericht nicht „in alle Ewigkeit fortgesetzt“ werden. Allerdings soll demjenigen Ehegatten, der sich bislang ganz oder überwiegend der Kinderbetreuung widmete, nach der Trennung eine „nach Möglichkeit grosszügig bemessene“ Übergangsfrist eingeräumt werden, bevor er eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen hat.
Anders als bei der „10/16- Regel“, die tendenziell die persönliche Betreuung der Kinder durch die Eltern in den Vordergrund stellte, wird beim „Schulstufenmodell“ vermehrt der Einsatz von Fremdbetreuung nötig sein. Kinderbetreuenden Eltern fehlt unter Umständen aufgrund der ihnen in einem früheren Zeitpunkt zugemuteten Erwerbstätigkeit die Zeit, die Kinder selbst zu betreuen. Laut dem erwähnten Bundesgerichtsentscheid ist die Eigenbetreuung im Hinblick auf das Kindeswohl der Fremdbetreuung nicht grundsätzlich vorzuziehen. Die beiden Betreuungsformen haben vielmehr als gleichwertig zu gelten.
Im Gegensatz zur „10/16-Regel“ kommt das „Schulstufenmodell“ auch bei nicht verheirateten Eltern mit Kindern zur Anwendung, sofern ein Betreuungsunterhalt festgelegt wird. Die neue Regel gilt damit zivilstandsunabhängig.
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